Hahnenfußgewächse: Urpflanze, Niespulver, Wolfsgift

Ein Artikel von GARTEN+HAUS | 22.10.2014 - 09:57

Bei den Orchideen reicht eine Blüte, um am typischen und einzigartigen Bau der Geschlechtsorgane in Sekundenbruchteilen die Familie zu bestimmen. Manche Hahnenfußgewächse hingegen sind leicht mit krautigen Vertretern der nächstverwandten Berberitzengewächse (Berberidaceae) oder mit einigen ursprünglichen Mohngewächsen (Papaveraceae) verwechselt werden.

Übungsphase der Evolution

Was die Familie so interessant macht ist, dass hier verschiedene Merkmale modernerer Pflanzengruppen erstmals in der Evolution auftreten und hier verschiedenste Lösungsmöglichkeiten realisiert wurden. Es scheint, die Evolution habe geübt.

Beispielsweise verdient die Differenzierung in Kelch und Krone hier (im Sinne evolutiver Progression) erstmals diese Bezeichnungen. Die Realisierung ist unterschiedlich: Etwa finden wir bei den Anemonen noch ein Perigon mit gleichartigen Blumenblättern und darunter einen Hochblattkranz, so ist dieser Hochblattkranz beim Leberblümchen (Hepatica) schon kelchartig direkt unter der Blüte. Doch das ist nicht der Weg, für den sich die Evolution „entschieden“ hat.

Beim Winterling (Eranthis) finden wir ebenfalls einen Hochblattkranz unter der Blüte, dann die leuchtend gelben Perigonblätter und zwischen diesen und den Staubblättern fügt sich ein Kranz zu Nektarbechern umgewandelter Staubblätter ein. Beim Hahnenfuß (Ranunculus) sind diese Nektarbecher zu den oft gelben Hochblättern geworden, das ursprüngliche Perigon zum Kelch. Das ist die Richtung, die sich im Laufe der Evolution durchgesetzt hat.

Daher ist die korrekte Bezeichnung der Blütenteile etwas verwirrend. Die Schauwirkung der Clematis-Blüten etwa geht von den Kelchblättern aus. Doch es ist müßig sie so zu nennen, fehlen den meisten Arten doch die Kronblätter. Ausnahme: Die Atragenen, wie Clematis alpina und C. macropetala besitzen schon Kronblätter. Bei C. alpina sind sie weiß und relativ klein, bei C. macropetala gleichen sie den Kelchblättern.

Auch ein Novum in der Evolutionsgeschichte sind zygomorphe, also bilateral-symmetrische Blüten wie bei Rittersporn (Delphinium) und Eisenhut (Aconitum). Die Blüten evolutionsgeschichtlich älterer Familien sind immer schraubig (etwa Magnolien) oder radiär-symmetrisch (sternförmig). Übrigens: Auch die Rittersporn- und Eisenhutblüten werden vom Kelch dominiert. Die Kronblätter beim Rittersporn nennt der Gärtner „Biene“.

Nieswurz: Goethes "Urpflanze"

Ihre Stellung zwischen primitiv und modern in der Entwicklungsgeschichte der Pflanzen drückt sich noch in vielen weiteren Eigenschaften aus. So ist es kein Wunder, dass Goethe eine Ranunculaceae für seine Urpflanze Modell gestanden hat: die Nieswurz (Helleborus). Sie zeigt sehr schön alle Übergänge von Niederblättern über Laubblättern und Hochblätter weiter zu den Perigonblättern. Goethe hatte noch keine Idee von Evolution und meinte nicht, dass alle Pflanzen von (s)einer Urpflanze abstammen würden. Er erkannte nur ein allen Blütenpflanzen gemeinsames Grundprinzip, den Bauplan. Die Pflanze besteht demnach aus Wurzeln, Sprossachsen und Blättern. Alle Pflanzenteile sind Abwandlungen dieser drei Grundorgane.

Giftige Zeitgenossen

Auch als Giftpflanzen sind Vertreter dieser Familie bekannt geworden. Der Eisenhut, der sich mit der Herbstzeitlose um den ersten Platz als giftigste Pflanze Europas streitet, wurde früher zum Vergiften von Wölfen eingesetzt. Schneerose und Lenzrose und die übrigen Vertreter der Gattung Helleborus sind kaum minder giftig. Die Verwendung des Rhizoms als Niespulver führte zum Gattungsnamen Nieswurz.

Kosmopoliten

Hahnenfußgewächse sind weltweit verbreitet, fehlen also nur in der Antarktis und im Inneren Grönlands. Die meisten von ihnen leben aber in den nördlichen gemäßigten Zonen und viele sind wichtige Gartenstauden geworden. Als erste Frühlingsboten erfreuen uns Winterlinge (Eranthis) und Lenzrosen (Helleborus orientalis), als letzte Blüten im Staudenbeet die Herbst-Anemonen (Anemone hupehensis Japonica-Gruppe), dazwischen im Sommer als Blaubringer Rittersporn (Delphinium) und im Winter Schneerosen (Helleborus niger).

Im Teich findet man Dotterblumen (Caltha), unter den Sommerblumen Jungfer im Grünen (Nigella damascena), in der Küche Echten Schwarzkümmel (Nigella sativa) an der Pergola Waldrebe (Clematis) und im Glashaus Kleinasiatischen Hahnenfuß oder Ranunkel (Ranunculus asiaticus). Das schönste Hahnenfußgewächs ist für mich Glaucidium palmatum, gefolgt von Akelei (Aquilegia) und Schmuckblümchen (Callianthemum).


Quelle: GARTEN+HAUS Jänner-Februar 2005, Autor: Gregor Dietrich