Wenn es im Winter für ein paar Tage ungewöhnlich warm wird, freuen sich die einen über die milden Temperaturen, die anderen aber bangen um ihre Zier- und Nutzpflanzen. Was, wenn sie jetzt austreiben und zu blühen beginnen? Wird sie dann der bestimmt noch kommende Kälteeinbruch dahinraffen? Seien Sie beruhigt, die Natur weiß, was sie tut. Und Pflanzen bekommen viel mehr von ihrer Umwelt mit, als wir ihnen zutrauen.
Warum bereits ausgetriebene Schneeglöckchen dennoch nicht erfrieren
Schneeglöckchen, Winterlinge und Krokusse und viele andere Frühlingsblüher überdauern die kalte Jahreszeit unterirdisch als Zwiebel, Knolle oder Rhizom. Ein Hemmstoff verhindert, dass sie zu früh, z. B. schon im Herbst, loslegen. Erst durch eine Kälteperiode wird dieser Hemmstoff langsam abgebaut.
Vorfrühlingsblüher können außerdem die Bodentemperatur messen. Liegt diese einige Zeit über 5 °C, ist das das Zeichen für Schneeglöckchen und Winterling, mit dem Austrieb zu beginnen, selbst wenn noch Schnee liegt. Manchmal blühen ganz eilige Exemplare bereits im Dezember oder zeitig im Jänner, denn wie schnell sich die Erde erwärmt, hängt maßgeblich von der Bodenbeschaffenheit und dem Standort ab.
Schlägt das Wetter um und hat der Frost die Natur wieder fest im Griff, stört das die Vorfrühlingsblüher nicht, selbst wenn sie schon ausgetrieben sind. Denn bei Minusgraden schalten diese Pflanzen ihren Stoffwechsel um und produzieren körpereigene Frostschutzmittel wie Glycerin, Traubenzucker und Sorbit. Diese Stoffe verhindern, dass das Wasser in den Zellen bei 0 °C gefriert und spitze Eiskristalle die Zellwände zerstören.
Wie Pflanzen Temperatur und Tageslänge „messen“
Nach den Vorfrühlingsblühern beginnen Narzissen, Blausterne, Tulpen und schon die ersten Bäume und Sträucher zu blühen – immer in der gleichen Reihenfolge. So als wüssten die Pflanzen ganz genau, wann ihr Einsatz ist. Tatsächlich ist es für das Überleben der einzelnen Individuen und der ganzen Art entscheidend, dass sie zur richtigen Zeit blühen. Einerseits soll die Frostgefahr gebannt (für all jene, die keine körpereigenen Frostschutzmittel bilden), andererseits müssen bereits Bestäuber wie Hummeln oder Bienen unterwegs sein.
Um ihren Einsatz nicht zu verpassen, müssen verschiedene Faktoren – äußere wie auch innere – zusammenwirken. Ein wichtiger äußerer Faktor ist die Temperatur. Zahlreiche Obstbäume „rechnen“ die warmen Tage zusammen und können so einschätzen, ob die Zeit reif ist, um zu blühen. Wenn es zur Blütezeit aber friert, haben Apfelbaum, Marille und Co. tatsächlich Pech. Schon eine kalte Polarnacht kann die kommende Ernte gefährden.
Ein viel verlässlicherer Taktgeber als die Temperatur ist jedoch die Tageslänge bzw. die Lichtintensität. Pflanzen vermögen tatsächlich festzustellen, ob es um sie herum dunkel oder hell ist. Verantwortlich dafür sind Lichtsensoren, sogenannte Photorezeptor-Proteine, die in den Blättern der Pflanze sitzen und hellrotes Licht absorbieren. Bei Sommer- und Herbstblühern sind hauptsächlich die Tageslängen für den richtigen Blühzeitpunkt ausschlaggebend.
Die innere Uhr der Pflanzen
Weiters besitzen Pflanzen so wie wir eine innere Uhr, deren Zyklus etwa 24 Stunden dauert und die sie mit der Belichtungszeit in Beziehung setzen können. So ist es ihnen möglich, die Tageslänge auf 10 bis 15 Minuten genau zu erfassen. Überschreitet im Frühling die gemessene Tageslänge einen bestimmten, in den Genen festgelegten Schwellenwert, bildet die Pflanze in den Blättern das Flowering Locus T-Protein (kurz FT-Protein) – früher auch „Florigen“ genannt –, das bis in die Sprossspitzen wandert und dort die Blütenbildung auslöst.
Damit diese Pflanzen aber nicht schon im Herbst blühen, müssen zuerst die vorhin erwähnten Hemmstoffe durch eine vorangegangene Kälteperiode abgebaut worden sein. Wenn Sie winterharte Zwiebelblumen im Topf kultivieren, sollten Sie diese daher unbedingt in der kalten Jahreszeit draußen lassen, damit Sie im Frühling ihre Blütenpracht genießen können.