Ich bin nützlich!

Ein Artikel von Kristina Kugler/AP | 18.04.2025 - 12:07
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Zugegeben, ich kann Ihren Unmut sogar etwas verstehen. Mit meinen stecknadelkopfgroßen Augen fällt es mir zwar schwer, Ihren perfekten Rasen zu betrachten (ich vermag schließlich nur hell und dunkel zu unterscheiden), aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass meine Erdhaufen ein unangenehmes Hindernis darstellen. Was glauben Sie, wie lästig es ist, wenn plötzlich Steine beim Graben meines Tunnelsystems auftauchen. Würde ich mehr Zeit an der Oberfläche verbringen, würde ich auch nicht gerne über oder um meine eigenen Hügel wuseln wollen. Aber niemand ist perfekt und ich habe so viele gute Eigenschaften, die diese unerfreu­liche Angewohnheit sicherlich mehr als wettmachen. Lesen Sie meine Geschichte und vielleicht werde ich Ihnen noch richtig sympathisch!

Ich sehe die Radieschen von unten

Als Maulwurf oder besser gesagt als Euro­päischer Maulwurf (die Wissenschafter unter Ihnen nennen mich Talpa europaea) verbringe ich beinahe mein gesamtes Leben unter Tage. Ich kann gar nicht nachvollziehen, was an der Erdoberfläche und an strahlendem Sonnenschein so toll sein soll. Am Tag lauern mir Mäusebussarde, Rabenvögel und Weißstörche, Hunde und Katzen auf, des Nachts werde ich von Eulen, Füchsen und Mardern verfolgt. Außerdem gibt es nichts zu fressen für mich. Was für mich auch fatal enden kann. Aufgrund meines sehr anstrengenden Tagewerkes – Graben benötigt schließlich eine Menge Energie – muss ich ständig fressen. Nulldiätphasen von mehr als 12 bis 24 Stunden sind für mich absolut tödlich. Ich brauche täglich fast die Hälfte meines eigenen Gewichtes an Nahrung. Da kommt selbst bei meiner ranken, walzenförmigen Figur mit gerade mal 100 g Körpergewicht eine Menge von 20 bis 30 kg vertilgten Speisen pro Jahr zusammen. Und ich halte absolut nichts von vegetarischer Kost! Fleisch gibt Energie, Ihre Radieschen betrachte ich ausschließlich von unten, mir würde nicht mal im Traum einfallen, sie anzuknabbern.

Meine Leibspeise: Schädlinge

Würmer, Würmer, Würmer … davon kann ich nicht genug bekommen. Regenwürmer, Drahtwürmer, aber auch Erdraupen, Engerlinge, Rüsselkäfer-Larven, Larven von Kohl- und Wiesenschnaken sowie Maulwurfsgrillen, Schnecken und junge Wühlmäuse landen in meinem Maul, wenn ich durch meine Gänge wandere. Und habe ich da nicht gehört, dass Sie viele von diesen Tieren als Schädlinge betrachten? Also:  Wer ist hier der Schädling, derjenige, der Ihre zarten Pflänzchen auffrisst oder derjenige, der diesen Vielfraß verspeist?

Geköpfte Regenwürmer

Sagen Sie nichts! Ich weiß schon, was Sie jetzt gegen mich vorbringen werden: Ich fresse doch auch die ach so nützlichen Regenwürmer. Ich gestehe, in diesem Punkt bin ich schuldig. Doch warum ist dieses Gewürm denn eigentlich so beliebt? Richtig, weil es unter anderem den Boden umgräbt und belüftet. Und was mache ich bitte schön tagaus, tagein? Und mein Tunnelsystem ist doch etwas beachtlicher als das eines Regenwurms. Mein Reich ist schließlich fast so groß wie 2  Sportschwimmbecken, mit bis zu 200 m langen Gängen, die 1 m tief in die Erde reichen können. Ich wühle mich mit meinen zu Grabschaufeln geformten Pfoten mit 7 m/h durch die Erde, wenn der Boden schön locker ist. Das bisschen Erde, das ein Regenwurm zutage fördert bzw. ausscheidet, ist nichts im Vergleich zu meinen Erdhaufen. Regenwurm-Exkremente mögen zwar viele Pflanzennährstoffe enthalten, die Erde meiner Hügel aber eignet sich hervorragend als Anzuchterde, für Blumenbeete und -kisten. Das soll mir dieser segmentierte Hautmuskelschlauch doch einmal nachmachen!
Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht: Ich mag Regenwürmer, und am liebsten kopflos. Denn sie sind die ideale Speise für den Winter. Ohne Winterschlaf zu halten, brauche ich auch in der kalten Jahreszeit genügend zu fressen – ein reiches Lager an Regenwürmern in eigenen „Vorratskammern“ hat sich für diesen Zweck bewährt. Damit sie nicht fliehen können, beiße ich ihnen einfach die vordersten Körpersegmente ab, auch ohne Kopf bleiben sie schön frisch und weich.

Hügel-Landschaft

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Der Horror für so manchen Hobbygärtner: ein Maulwurfshügel neben dem anderen auf dem schön gepflegten Rasen. © MTrebbin/Shutterstock.com

Sie müssen zugeben, ein bisschen sympathischer bin ich Ihnen mittlerweile schon geworden, oder? Wenn da nicht diese lästigen Erdhügel wären! Aber Sie verstehen hoffentlich, diese Haufen sind eine Notwendigkeit. Mit der einen Pfote baggere ich mich durchs Erdreich, mit der anderen stütze ich mich an der Tunnelwand ab. Die gelockerte Erde schiebe ich dabei unter meinen Körper nach hinten weg. Später befördere ich in regelmäßigen Abständen, eine Pfote als Planierschild vor mir her tragend, das unnötige Erdreich an die Oberfläche. Wenn Sie einen Tunnel graben, müssen Sie die Erde letztlich auch wieder loswerden.
Glauben Sie nun ja nicht, wenn Sie meine Erdhügel platt treten und den einen oder anderen Gang zerstören, dass ich verschwinden werde. Nein, ich werde die Gänge reparieren und Sie mit neuen Hügeln erfreuen. Seien Sie froh, dass ich nicht noch meine Verwandtschaft einlade, mir zu helfen. Ihr Glück, ich bin ein eingefleischter Einzelgänger. Ich werde Ihnen an dieser Stelle natürlich nicht verraten, wie Sie mich vertreiben können. Schließlich fühle ich mich in Ihrem Garten sehr wohl.

Bitte um Ruhe!

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Wo Kinder herumtollen, wird der Maulwurf nicht lange bleiben. © Ground Picture/Shutterstock.com

Wenn Sie mich kleine, handliche, schwarz-braun gefärbte Fellwalze mit der spitzen Schnauze aber lieb gewonnen haben, erzähle ich Ihnen gerne, was Sie für mein Wohl­befinden tun können. Ich habe zwar keine Ohrmuscheln und meine Ohren sind tief in meinem dichten Pelz vergraben, dennoch höre ich sehr gut. Unregelmäßig auftretende Geräusche machen mich nervös. Sorgen Sie also für Ruhe, lassen Sie Ihre Kinder nicht auf dem Rasen spielen und mähen Sie nur selten Ihren Rasen. (Bei den vielen Hügeln wird das Mähen ohnehin zum Hindernisparcours.)
Und für alle, die mich trotz meiner vielen ­tollen Eigenschaften noch immer am liebsten meucheln würden, habe ich einen kleinen Hinweis: Ich ­stehe unter Schutz. Also fürchtet die eiserne Hand des Gesetzes, wenn ihr mir an meinen pelzigen Kragen wollt!